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Mein Kind spricht nicht mit mir

Keine Kommunikation: Mein Kind spricht nicht mit mir Foto: © flairimages - Fotolia.com Keine Kommunikation: Mein Kind spricht nicht mit mir

In vielen Familien bricht der Kommunikationsfaden in der Pubertät ab. Doch das muss nicht sein. Loslassen heißt das Zauberwort.

Wenn Christopher (16) aus der Schule nach Hause kommt, knallt er seine Tasche in die Ecke, fragt allenfalls, was es zu essen gibt und ist schon in seinem Zimmer verschwunden. „Kommunikation findet kaum noch statt“, klagt Birgit W. aus Düsseldorf. Die 45-Jährige ist ratlos. Seit Christopher in der Pubertät ist, hat er sich immer mehr zurückgezogen. „Früher haben wir über alles gesprochen. Da stand der Mund nicht still, wenn er aus der Schule kam“, erinnert sich die Mutter. Ein offenes, fröhliches und mitteilsames Kind sei ihr Sohn gewesen, kein Vergleich mit dem immer etwas mürrischen wirkenden, verschlossenen Teenager, zu dem er sich in den vergangenen Jahren immer mehr entwickelt habe.

Eltern geraten in den Hintergrund

„Das muss man als Eltern aushalten“, sagt der Psychiater und Psychotherapeut Dr. Rüdiger Holzbach. Sofern Christopher soziale Kontakte habe, einen eigenen Freundeskreis und nichts auf eine Depression oder sonstige psychische Probleme hinweise, sei sein Verhalten in diesem Alter ganz normal, weiß der Experte. Ganz im Gegenteil, wenn es anders wäre, dann gäbe es eher Grund, sich Gedanken zu machen: „Wenn Mama und Papa in dieser Lebensphase immer noch die besten Freunde für den Jugendlichen sind, dann hat eine für die Entwicklung unverzichtbare Loslösung nicht stattgefunden.“

In den meisten Fällen ist es tatsächlich so, dass Kinder gegen Ende der Grundschulzeit und zu Anfang der Pubertät ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf Gleichaltrige richten. Die schweigsamen Teenager möchten vor allem von ihren Freunden und Freundinnen anerkannt werden und eine günstige Position unter ihnen einnehmen. Jetzt dreht sich die Welt der Heranwachsenden stark um ihre Altersgenossen, die Eltern geraten ganz automatisch in den Hintergrund.

Dialog in der Pubertät

Mütter und Väter seien in der Pubertät zu einem schwierigen Drahtseilakt gezwungen, der ihnen nur gelingen könne, wenn sie einen offenen Dialog mit ihren Kindern aufrecht erhalten, erklärt der Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch „Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht“. Dazu gehört auch das Loslassen. „Für einige Eltern ist das schwer, weiß Dr. Rüdiger Holzbach. Aber es sei wichtig, zu akzeptieren, dass aus den Kindern, die man an die Hand genommen, für die man so lange allein die Verantwortung getragen hat, eigenständige, junge Erwachsene werden. „Wir haben ihnen das Laufen beigebracht, aber nicht, damit sie ihr Leben lang hinter uns hertrotten, sondern damit sie irgendwann eigene Wege gehen, bringt der Facharzt es wunderbar auf den Punkt. Die jungen Menschen, so sagt er,  müssten sich neu erfinden. Dazu gehöre auch, dass sie nicht mehr alles erzählen: „Sie stellen Werte infrage, entwickeln eigene Konzepte.“ Und genau das sei auch der Grund, warum der Kommunikationsfaden manchmal reißt und das Kind woanders „andockt“. Natürlich sei damit nicht die Akzeptanz von totalem Rückzug aus allen Konzepten gemeint. Klar solle es bei aller Toleranz auch weiterhin „Schnittpunkte“ im Familienleben geben. Gemeinsame Unternehmungen, gemeinsame Mahlzeiten und vor allem eine klare Linie. „Das beste Erziehungsmittel besteht aus negativen Konsequenzen für Fehlverhalten und positive Verstärkung von positivem Verhalten“, erklärt Dr. Holzbach. Das funktioniere immer und überall. Allerdings solle jede Konsequenz, von angemessenen PC-Nutzerzeiten über die Höhe des Taschengeldes bis zu veränderten Zeiten beim Ausgehen, für den Jugendlichen auch nachvollziehbar sein. Weg vom Modell der reinen Eltern-Kind-Konstellation sei es wichtig, auch den eigenen Kommunikationsstil zu verändern.

Erziehung in der Pubertät

Wenn die Eltern es bis zur Pubertät nicht gelernt hätten, das „Erziehung“ und Kommunikation ein wechselseitiger Lernprozess sei, würden sie es spätestens dann lernen, oder den Preis für die Monologe der Vergangenheit zahlen müssen, sagt Jesper Juul: .„Für beides sind die Erwachsenen verantwortlich.“  

Und die dürften den Anschluss nicht verpassen, warnt Dr. Rüdiger Holbach. Wichtig sei für die Eltern, ihre Kinder nicht mehr als Teil von sich, sondern als autonome Person zu betrachten und zu respektieren. Manchmal könne es hilfreich sein, mit anderen über das eigene Kind zu sprechen. Zu erfahren, wie Außenstehende, Lehrer, Nachbarn, Freunde oder andere Familienangehörige den Jugendlichen erleben, wie sie über ihn denken. „Es kann ganz erstaunlich sein, wie die Wahrnehmung dort vielleicht eine ganz andere ist, wie das eigene Kind in den Augen der anderen viel erwachsener, reifer und selbstständiger wirkt.“ Das sei der Punkt, die eigene Perspektive zu überdenken und dem Kind auch ein Stück Verantwortung für sich selbst zu übergeben: „Das stärkt und formt die Persönlichkeit und gibt dem Jugendlichen plötzlich die Möglichkeit, eine ganz andere Rolle einzunehmen.“

Kommunikation mit Jugendlichen

Oft könne man an diesem Punkt auch wieder miteinander reden, auf einer ebenbürtigen Ebene, mit gegenseitigem Respekt. Das Vertrauen, das man den Jugendlichen entgegen bringe, käme meistens auch wieder zurück. Viele Eltern, weiß der Experte, hätten das Bedürfnis, ihre Kinder aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit vor Negativem schützen zu wollen, doch jeder Mensch müsse ab einem gewissen Punkt seine eigenen Erfahrungen machen. Die Kommunikation in der Pubertät könne letztlich nur dann funktionieren, wenn die Eltern ihre Kinder nicht ständig kritisieren würden. Vor allem aber sei es wichtig, den Kindern und Jugendlichen ernsthaft zuzuhören. „Wer das nur mit einem halben Ohr tut und sofort wieder kritisiert und ermahnt, darf sich nicht wundern, wenn am Ende gar nichts mehr erzählt wird.“ 

Letzte Änderung amDienstag, 23 September 2014 12:38
Helga Wissing

Helga Wissing ist freie Journalistin und lebt mit ihren zwei Töchtern in einer Kleinstadt in Nordrhein Westfalen. Mit einer 16-Jährigen unter einem Dach weiß sie genau, wovon sie schreibt. Wechseljahre und Pubertät prallen aufeinander. Ihr Tipp: Ruhe bewahren und trotzdem lieb haben.

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